Was ist das? Schon wieder dieser Geruch? Ein Duft ist es nicht, nein, das war es vor zehn Tagen vielleicht, als es zum ersten Mal durch diese Räume schwebte. Aber inzwischen ist es nichts weiter als ein niedriger, schäbiger Geruch: Tabaksqualm…
Woher kommt dieser verfluchte Gestank? Hätte ich mich nie eingemietet in dieses vierhundertjährige Hotel, mit seinen alten, eng abgemessenen Schlaf- und Studierzimmern. Die vergoldeten elektrischen Lichtschalter sehen aus, als seien sie seit den 1920ern nicht ersetzt worden. Die beiden Räume gegenüber, auf dem Korridor, sind vielleicht ebenso lang verriegelt, über ihre Türen ist Tapete gezogen. Von dort wird der Geruch kaum kommen. Und dabei – welcher Raum bleibe noch als das WC am Ende des gefliesten Ganges, mit dem altmodischen Spülungsgriff, der über einem an einer Kette hängt? Sonst gibt es nur noch das Schlafzimmer, das von dem riesigen, zu weichen Bett und dem Louis-Quinze-Schrank vollkommen ausgefüllt wird, das Arbeitszimmer, in dem ich sitze, und die kleine Küche. Das alles bewohne ich – und ich rauche nicht! Auch sonst raucht keiner im Haus.
Es treibt mich in den Wahnsinn. Schnell ein Gläschen Port. Woher nur? Es kommt nicht einmal regelmäßig: Mal jede Nacht, dann einige Nächte nicht, dann jede zweite, dritte Nacht. Was für ein eigensinniger Raucher muß das sein! Ich kann’s nicht erklären. Noch einen Schluck Portwein, zur Stärkung. So. Sich Sammeln. Eine vernünftige Erklärung suchen. Rational vorgehen. Mein Gott, was für ein Stoß! Als hätte mir jemand das Zeug ins Gesicht gepustet. Verdammte Husterei, muß mich fangen. Wo kommt’s nur her?
Ich sitze zu lang über den Büchern. Diese altfranzösische Literatur und Philosophie tut mir nicht gut, besonders nicht, wenn man mit keinem Menschen darüber diskutieren kann. Noch etwas Port. Das schlägt aufs Gemüt und auf den Verstand: Fernab der provenzalischen Sonne sitzt man in den Kellern einer marmornen Bibliothek und atmet Bücherstaub. Zu Studienzwecken, nicht zum Vergnügen bin ich hier. Und nun das!
Und was hat’s damit auf sich, daß wenn ich selbst rauchen will, ich kein Streichholz anzünden kann? Ganz gleich, wie neu und trocken die Packung: die Flamme geht noch im selben Augenblick aus, wenn ich sie entzünde. Seltsame Kräfte sind hier am Werk. Mehr Port.
Immer wieder, wie um mich zu hänseln, ein Rauchstoß ins Gesicht! Widerlich. Nein, auch wenn die Buchrücken mich pflichtgebietend ansehen – mit der Arbeit ist’s nichts mehr, die Konzentration ist dahin. Mir ist diese sonnige Stadt unter dem weiten südländischen Himmel, mit ihren Sandsteinpalais und hellen gotischen Kirchen überhaupt zuwider. Ich bin ein Mensch nördlicher Gefilde, der Schubert liebt, den Herbstwald und die schroffe Natur.
Nun will ich aber doch, nach einem Gläschen Port zur Kräftigung, einmal nachsehen, ob nicht draußen auf dem Korridor –
Es wird stärker – ich will an dem Spalt riechen… Wie ein Paffen hinter der Tür, die zutapeziert ist! Zigarrenrauch…
Was ist das nur? Da – unendlich leise, Klaviermusik. Nachtmusik, ist das nicht von Schubert? Kein Mensch spielt hier im Haus Klavier! Die Musik und der Qualm, mein Kopf – nun habe ich’s volle Glas fallengelassen, der schwarze Wein fließt über die Fliesen hin – Was ist nur –
Nachtrag des städtischen Ordnungsamtes Aix-en-Provence (übersetzt aus dem Französischen):
Der am 22. November ohnmächtig aufgefundene Professor B. (63, ledig, österreichische Staatsbürgerschaft) lag in einer Portweinlache auf dem Korridor seines gemieteten Appartements. Der Mann war stark alkoholisiert, konnte sich nicht auf den Füßen halten, war nicht ansprechbar und mußte von den Beamten C. und V. in ein Dienstfahrzeug getragen werden. Er blieb für die Nacht auf dem Revier.
Seit dem 2. Dezember befindet sich Prof. Dr. B. wieder in Wien. Die vorliegenden Blätter sind unter Alkoholeinfluß entstanden, entsprechend ist ihr Wahrheitsgehalt niedrig zu werten. Zum Jahresende sollen sie mit der Akte dieses Falles vernichtet werden.
Foto: Fontaine des Quatres Daupins, Aix-en-Provence © Max Haberich
[decar66 via photopin cc] [Frühjahr 2004]